Die Kirche von
Hohenhameln als Stiefelknecht
Einstmals kam ein Riese von
den Bergen des Nordlandes her in das Peiner Tiefland geschritten. Vor ihm lag im
Scheine der Frühsommersonne die in lichtern Grün prangende Landschaft und nach
Süden hinaus in zartblau sich entschwingender Ferne der Harz mit seinen
Vorbergen. Zu seinen Füßen kribbelten auf den Feldern die Menschen mit ihren
Gespannen; er musste sich vorsehen, daß er mit seinen großen Füßen kein
Lebewesen zertrat. Die Flüsse, die er im Umkreis erblickte, nämlich Oker,
Fuhse, Innerste und Leine, erschienen ihm wie kleine Bäche. Die Dörfer machten
auf ihn den Eindruck, als seien es zusammengesetzte Steinchen und Holzklötzchen
aus einem Baukasten. So stand er und schaute staunend auf das Land zu seinen Füßen
und das betriebsame Leben der Menschenkinder. Derweil zogen über ihm am blauen
Himmel die weißen Sommerwolken dahin. Als er versuchte, ein solches Wölkchen
mit seiner Hand herunter zu holen, da zerteilte es sich und löste sich auf.
Sinnend schritt er weiter und
kam bis in die Gegend von Hohenhameln. Dort fühlte er plötzlich, wie sehr
seine Füße brannten und schmerzten. „Das sind die Folgen der langen
Wanderung“, dachte er und wollte sich die Stiefel ausziehen, um die Füße ein
wenig abzukühlen. Weil die Stiefel aber so riesengroß waren, ging das nur
schwer. Ja, in seiner Bergheimat gab es in Hülle und Fülle Felsenwände, die
als Stiefelknecht dienen konnten. Aber hier? Ebene weit und breit! Die Berge des
Harzes winkten wohl vom Süden herüber, doch die konnten ihm hier nicht helfen.
Da
erblickte er die Doppeltürme der Kirche von Hohenhameln. „Das ist ja ein prächtiger
Stiefelknecht!“ rief er aus. Schnell schritt er auf die Kirche zu. Ein breites
Lächeln zog über sein Gesicht hin. „Jetzt gibt es einen Riesenspaß!“
murmelte er in seinen Bart. Er legte seinen Fuß zwischen die beiden Türme und
zog erst den einen Schuh aus und dann den anderen. Dann schüttelte er die
Schuhe aus; denn es hatte sich bei der Wanderung durch die Heide Sand darin
gesammelt. Schließlich füllte er mit der Hand noch etwas kühles Wasser aus
der Innerste, denn das Wasser der Fuhse war ihm zu warm, und wusch seine Füße
ab. Alsdann zog er seine Fußbekleidung wieder an und ging weiter.
So fröhlich war er schon
lange nicht mehr gewesen, weil er seit geraumer Zeit nicht mehr solch ein Vergnügen
erlebt hatte. Wie waren die kleinen, furchtsamen Menschen doch geeilt, um sich
in Sicherheit zu bringen! Als sich ein Riesenfuß nach dem andern zwischen die Türme
schob, da hatten sie sicher gemeint, er wolle sie beide umreißen. Ha, ha, ha,
ha! Die törichten Menschenkinder! Auch ein dickeres Steinchen war mit heraus
gepoltert aus den Stiefeln. Wie laut hatten da die Ängstlichen geschrieen! War
doch alles nur Spaß! Aber die Menschen können doch wohl keinen Spaß
vertragen! Auch wegen der paar Wassertropfen, die vorbei gefallen waren, hatten
sie sich ganz kläglich angestellt. Einige, die wohl davon getroffen waren, schüttelten
sich wie Hunde, die aus dem Wasser heraus kamen. Nur wegen eines kleinen
Wassertropfens! „Muß man da nicht lachen?“ dachte der Riese.
Der Riesenstein blieb bei der
Kirche liegen, weil er so groß war, daß man ihn nicht fortbewegen konnte. Später
ist der Riesenstein verschwunden. Niemand weiß, wer ihn weggeholt hat und wozu
er verwendet worden ist. Die Wassertropfen, die vorbei gefallen waren, sammelten
sich an einer tiefer gelegenen Stelle zu einem Teiche, der noch heutigen Tages
vorhanden ist.
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