Der Haßjäger
In den Nächten, die des
Winters eisiger Kälte voraufgehen, ist‘s im Peiner Land und in den Bergen,
die sich an der lnnerste und Oker entlangziehen, nicht ganz geheuer. Es heult in
den Lüften und knackt in den Zweigen der Bäume. In das Brechen der dürren Äste
mischen sich heiserer Hundelaut und ab und zu der Schrei wilder Gänse. Der König
aller Geister und Gespenster, der Haßjäger, ist unterwegs. Er trägt den Kopf
unter dem Arm. Sein Reittier ist ein schneeweißes Roß. Manche Leute behaupten,
daß es nur drei Beine habe.
Im Südkreis Peine hat er sich
früher oft sehen lassen. Zwischen Groß Solschen und Groß Bülten spukt der
Reiter ohne Kopf auf dem Haßkampe, der nach ihm bis heute seinen Namen trägt.
Die alte Windmühle, die dort seit ein paar hundert Jahren allen Stürmen Trotz
geboten hat, erhielt nach ihm die Bezeichnung: Haßkampsmühle. In Adenstedt
reitet er in hellen Vollmondnächten auf weißem Roß am Südrande des Lah
entlang. Dort hat sich auch die Überlieferung erhalten, daß der grausige
Reiter der alte Wodan sein soll. Er trägt den Kopf unter dem Arm, denn er hat
seit Einführung des Christentums alle Macht verloren. Sein Ritt führt am
Adenstedter Lah vorbei, weil dort die alten Gräber der Vorfahren, die er noch
immer behütet, unter den hohen Bäumen liegen. Deshalb sieht man ihn auch am
Handorfer Holze reiten. In Handorf hat man in vergangener Zeit den Mann ohne
Kopf und den dreibeinigen Schimmel in der kleinen und großen Gasse sehen können,
aber keiner weiß etwas darüber, was es damit für eine Bewandtnis hatte.
Reitet der Haßjäger durch
die Lüfte, so folgt ihm das wilde Heer; darunter sind Wilddiebe, böse Förster
und schlechte Soldaten. Bissige Hunde begleiten die wilde Jagd, man hört sie
heulen und keuchen. Auch wilde Gänse mischen sich manchmal unter das Gefolge.
Der alte Nachtwächter Felgentreff in Dungelbeck hat früher erzählt: „Wenn
ich des Nachts durch das Dorf gehe, dann sehe ich in stürmischen Herbstnächten
und in der Winterszeit manchmal die wilden Gänse durch die Lüfte flattern und
schreiend über das Dorf ziehen. Das sind aber in Wirklichkeit nicht die wilden
Gänse, die aus dem Norden auf dem Wanderzuge sind, sondern da braust der wilde
Jäger mit seinem unsichtbaren Heer über unser Dorf dahin.“
Von dem Haßjäger erzählen
die alten Leute, daß er oft boshaft ist. Er treibt vor allem seinen Spott mit
Wanderern, die unterwegs sind, wenn die wilde Jagd vorüberzieht. Die Menschen,
die ein schlechtes Gewissen haben, mögen sich gleichfalls vor ihm hüten.
Lassen sie am Hause eine Tür offen stehen, so dringt er mit dem wilden Heer
hinein. Seine Hunde verzehren alles Eßbare, was sich im Hause befindet.
Rauchfang und Wursteboden werden gleicherweise ausgeräumt, so daß für den
Winter Schmalhans Küchenmeister im Hause wird. Jedoch kann das Geisterheer dem
nichts Böses tun, der in dem Augenblick, wenn es vorüberbraust, an Gott denkt.
Wer das weiß und es beherzigt, der braucht sich nicht zu fürchten.
|